Redebeitrag zu linkem Antisemitismus am 23. Mai in Frankfurt

Linker Antisemitismus klingt wie ein Widerspruch in sich. Das Bedürfnis, sich die Welt antisemitisch zu erklären, gehört zum Kern eines rechtsradikalen oder islamistischen Weltbildes, linke Weltbilder und Gruppen verschreiben sich dem Kampf für Freiheit und Gleichheit, was der Abwertung einer Menschengruppe entgegenstehen sollte.  Dass es leider nicht ganz so einfach ist, zeigt sich immer wieder auf erschreckende Art und Weise. Zum einen hier in Frankfurt im Oktober 2020, als es bei einer linken Demonstration unter dem  Motto „Moria Befreien“ zu antisemitischen Ausrufen wie „Yallah Intifada“ oder „Palestine will be free-from the River to the Sea“ kam. Es zeigt sich auch anhand Christine Buchholz, Offenbacher Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag, die offen mit der Hamas und der Hisbollah sympatisiert, BDS unterstützt und Israel das Existenzrecht abspricht. Dass dies auch ein internationales Phänomen ist zeigt der ehemalige Chef der englischen Labour-Partei Jeremy Corbyn, der am Wochendene in London vor tausende vermeintlichen „pro-palästinensichen“ Demonstrant_innen sprach. Direkt vor ihm eine antisemitische Puppe die als Karikatur auch aus dem Stürmer hätte stammen können.


Die Geschichte des linken Antisemitismus ist leider lang. Es gab und gibt vor allem zwei Einfallstore für ihn: falscher Antikapitalismus und Antiimperialismus. So zeigte sich der Antisemitismus besonders im Frankfurter Häuserkampf gegen die Grundstücksspekulation der 1970er Jahre. Insbesondere der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, Ignatz Bubis, der an der Spekulation mit mehreren Grundstücken beteiligt war, stand als »jüdischer Kapitalist« in der Kritik, obwohl die Ursache für die Spekulation die Stadtentwicklungspolitik war. Für einen Teil der Protestbewegung und der öffentlichen Meinung war es attraktiv, einen konkreten Juden ins Visier zu nehmen, der die Rahmenbedingungen nutzte, statt die Stadtpolitik oder andere Spekulant_innen zu kritisieren. War die (außerparlamentarische) Linke der deutschen Nachkriegszeit zunächst eher israelsolidarisch, vollzog sich Mitte der 1960er mit dem Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten Jordanien, Ägypten und Syrien eine „antizionistische Wende“. Die Funktion des israelischen Staates als Schutzraum vor Antisemitismus gerät mit der wachsenden Zustimmung zu antiimperialistischen und antizionistischen Positionen in den Hintergrund. Teilweise wird dabei so weit gegangen, Israel grundsätzlich das Existenzrecht abzusprechen. 1972 sprach Ulrike Mainhof, in ihrem Lob des antisemitischen Anschlags auf die israelische Olympiamannschaft in München von „Israels Nazifaschisten“ und warf der israelischen  Regierung vor, ihre Sportler „zu verheizen wie die Nazis die Juden.“ Als Antizionistin befindet Meinhof sich auch international betrachtet in prominenter Gesellschaft. So taucht auf vermeintlich emanzipatorischen Demos gegen Rassismus oder am internationalen Frauenkampftag auch immer wieder das Gesicht von Angela Davis auf Bannern auf, meist versehen mit dem Zitat: “Feminism will be anti-racist or it won’t be!” Davis, die sich in den 1980ern mit den Zusammenhängen rassistischer und sexistischer Diskriminierung und Kritik am us-amerikanischen Gefängnissystem beschäftigte, äußerte sich vor Allem in den letzten Jahren vermehrt zu Israel und Palästina. Dabei geht sie auch schon mal soweit, in ihren Plädoyers für BDS und Antizionismus zu behaupten, dass  “die Tentakel der zionistischen Lobby bis in die Schwarze Kirche” reichen. 


Häufig wird sich bei Kritik nur oberflächlich von Antisemitismus distanziert, gerne wird Kritiker_innen aber auch vorgeworfen vorschnell die Antisemitismuskeule zu schwingen. Eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Vorwürfe und den eigenen antisemitischen Ressentiments bleibt jedenfalls meist aus. Und so kommt es dann dazu, dass der positive Bezug auf eine Feministin, die antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet und diese als postkolonialen Befreiungskampf verkauft, als unhinterfragte Ikone für einige Linke kein Problem zu sein scheint…
In Deutschland hat der linke Antisemitismus noch eine weitere Komponente: Er kann mitunter auch als Mittel zur Befreiung von der Präsenz der eigenen Geschichte und deren tiefergehender Aufarbeitung interpretiert werden. Die Kinder – und inzwischen auch Enkel_innen – der Täter_innen konnten ab dem Moment, in dem der jüdische Staat nicht mehr in der Position des underdogs war, ihren antifaschistischen Kampf als Kampf gegen diesen nachholen und damit das wiedergutmachen, was sie ihren Vorfahren immer vorwarfen: nicht Widerstand geleistet zu haben. Der Historiker Léon Poliakov bezeichnet das auch „ehrbaren Antisemitismus“. Im Sinne dieser Aussöhnung kann man dann manche dann auch schon mal eine islamistische Terrororganisation und ihre Bomben verharmlosen. Meist ist die vermeintliche Antisemitismuskeule eben doch so treffsicher wie eine Ohrfeige von Beate Klarsfeld.
Aus all diesen Beobachtungen folgt für uns: Gegen jeden Antisemitismus darf kein Lippenbekenntnis bleiben! Wenn wie aktuell jüdische Einrichtungen und Synagogen bedroht und angegriffen werden und Juden_Jüdinnen antisemitischen Übergriffen ausgesetzt sind, muss gehandelt werden. Der Kampf gegen Antisemitismus muss auch bedeuten, Antisemitismus und Antizionismus in den eigenen Reihen zu benennen, zu kritisieren und konsequent entgegen zu treten! Kein Platz für Verschwörungsdenken und regressive Kapitalismuskritik! Solidarität mit Israel!

Der Beitrag wurde am 23. Mai bei der Kundgebung mit anschließender Demonstration gegen Antisemitismus gehalten. Organisiert wurde die Veranstaltung von WomenAgainstRacismAntisemitism.