Rechter Terror in Deutschland – alles, nur (k)ein Einzelfall

keinschlussstrich

Die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız erhielt seit August 2018 vier anonyme Faxschreiben. Diese enthielten rassistischen Anfeindungen, die Drohung „ihre zweijährige Tochter abzuschlachten“ und sensibele Daten wie ihren Wohnort, den Name der Tochter und sowie weiterer Angehöriger. Bereits nach dem ersten Schreiben gab sie den Hinweis an die Polizei, es könne sich um eine rassistisch motivierte Tat von Nazis handeln. Dies wurde abgewehrt. Spätere Ermittlungen des Landeskriminalamtes führten zur Aufdeckung eines extrem rechten Terror-Netzwerkes innerhalb der hessischen Polizei. Gegen sechs BeamtInnen, unter anderem vom 1. Revier an der Konstablerwache in Frankfurt, laufen deswegen derzeit Verfahren. Mittlerweile gibt es ein Dutzent Verdachtsfälle innerhalb des Polizeiapparats gegen rechte PolizistInnen – im Wochentakt werden neue Vorfälle bekannt. Erneut wurden frühzeitige und korrekte Einschätzungen von Betroffenen rechter Gewalt ignoriert. Der hessische Innenminister Beuth bagatellisierte die Vorfälle innerhalb der Exekutive und bezeichnete sie als Einzefälle. Es kommt zu keinen flächendeckenden Ermittlungen. Das Umfeld der Betroffenen wird unter Verdacht gestellt. Kein neues Phänomen: die Täter-Opfer-Umkehr entpuppt sich als historischer Reflex deutscher Ermittlungsbehörden. Regelmäßig kommt es zu Kriminalisierungen von Betroffenen rechten Terrors.

Beispielhaft hiefür sind auch die Ermittlungen gegen Familien von NSU-Opfern mit dem Vorwurf der organisierten Kriminalität. Vorallem wenn sich Ermittlungen gegen die Polizei richten (sollten), kommt es selten zu Aufklärung oder gar Verurteilungen. Die Polizei umgibt in diesem Land viel zu oft einen Nimbus der Unfehlbarkeit. Wie im Fall des geflüchteten Matiullah J. in Fulda. Der 19-Jährige wurde mit 11 Schüssen durch einen Polizisten umgebracht. Der Beamte und seine Einheit erhielten hierfür jüngst einen Freispruch. Die mediale Berichterstattung ließ mehr als zu wünschen übrig und konzentrierte sich auf den Vorwurf gegen den jungen Mann. Auch hier wird auf die vermeintliche Schuld des Opfers rekurriert. Der Korpsgeist und institutionalisierter Rassismus begünstigten den Freispruch. Mangelnde Ermittlungsverfahren innerhalb der Polizei sind fahrlässig und führen dazu, dass rassistische Gewalttaten nicht nur vertuscht sondern auch tradiert werden.

 

Wirft man einen Blick auf die deutsche Geschichte ist dies nicht verwunderlich. NationalsozialistInnen wurden nach 1945 wichtige Funktionäre im Staatsapparat, ohne je für ihre grauenhaften Machenschaften während der Shoa belangt zu werden. Nazis saßen durchweg in Parlamenten, Justiz, (Polizei-)behörden und Verfassungsschutz. Entgegen der behaupteten Durchführung einer „Entnazifizierung“ wurde nahezu jegliche Aufklärungsarbeit verdeckt. Das Hauptziel war und ist autoritär und antikommunistisch zu arbeiten. Verbindungen zwischen Geheimdiensten und Neonaziorganisationen sind offenkundig.

 

Nicht nur ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt, dass Staat und Nazis seit jeher Hand in Hand arbeiten. Auch jegliche NPD-Verbotsversuche scheiterten aufgrund einer von V-Männern durchsetzten und aufgebauten Partei. Versuche, aus den Fehlern der Vergangenheit explizit im Fall NSU zu lernen und den Polizeiapparat strukturell zu verändern, scheiterten. Sie führten ausschließlich zu deutlich mehr Befugnissen für die Polizei und Geheimdienste. Daher fordern wir die Auflösung des Verfassungsschutzes und die konsequente Bekämpfung extrem rechter Terrorzellen!

 

Der Prozess und das Urteil gegen den selbsternannten NSU zeigten auf, dass es keine wahrhaft demokratische Aufklärung und Aufarbeitung rechten Terrors in Deutschland gibt. Beispielhaft hierfür steht das Narrativ der Trio-These. Dieses steht kontrafaktisch zu jeglicher antifaschistischer, journalistischer und wissenschaftlicher Recherche. Hierzu zählt nicht nur die Unfähigkeit rechte Strukturen zu benennen, sondern diese auch zu verharmlosen in dem beispielsweise Frauen ihre Kriminalität und Radikalität wie im Fall Zschäpes abgesprochen wird (Stichwort Nazibraut). Anstatt rechten Terror als aus der Mehrheitsgesellschaft entsprungen zu sehen, wird Faschismus zum sensationellen Einzefall deklariert über den man fasziniert beim Feierabendbier tratschen kann.

 

Nazis waren und sind kein konjunkturelles Problem. #KeinSchlussstrich bedeutet sich stetig mit der (deutschen) Geschichte auseinanderzusetzen. Die antifaschistische Organisierung bleibt unabdingbar. Gerade deswegen ist ein Bewusstwerden über verinnerlichten Rassismus, Antisemitismus und Sexismus, wovon wir alle nicht frei sind, notwendig. Auch in antifaschistischen Recherchestrukturen zu Zeiten des NSU wurden Fehler gemacht und Rechtsterrorismus nicht als dieser erkannt. Deswegen: seid aufmerksam, greift auf bereits vorhandene Recherchen zurück und betreibt Aufklärung über Nazistrukturen. Rechte Terrorzellen entstehen nicht über Nacht. Es gilt Nazis einzuschüchtern und sie wissen zu lassen, dass sie ihre faschistische Ideologie nicht ungestört ausüben können.

 

Deshalb kommt alle am 23. März mit uns auf die Straße! Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt! Kein Schlussstrich!

Wir möchten außerdem auf die Gedenkveranstaltung für den vom NSU ermordeten Halit Yozgat in Kassel am 6. April aufmerksam machen.

//back to the future – Zur Aktualität eines materialistischen Feminismus//

Screenshot from 2019-02-27 11-22-53

Ein elementarer Teil der autoritären Revolte, die sich verstärkt in den letzten Jahren bemerkbar macht, steht unserer Auffassung nach in engem Zusammenhang mit einer immensen Krise der hegemonialen Männlichkeit, die sich oft in antifeministischen Ressentiments artikuliert. Die Auswirkungen dieser heraufbeschworenen Krise sind nicht selten tödlich, blickt man beispielsweise auf die entmenschlichende Kriegermännlichkeit der Kämpfer des IS oder auf die wahnhafte Ideologie der frauenhassenden Incels-Bewegung, deren gewaltsamste Äußerungsform die Amokläufe von Elliot Rodger und Scott Paul Beierle darstellten. Beide Beispiele sind jedoch nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs, sie liegen nicht außerhalb des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses, sondern finden darin lediglich ihren extremsten Ausdruck. Das Verhältnis der Geschlechter entsteht nicht im luftleeren Raum, es ist vermittelt mit der politischen und ökonomischen Beschaffenheit der Gesellschaft, innerhalb derer es besteht: Etwa die geschlechtsabhängige Zu- und Verteilung von Care-Arbeit, die Zugänglichkeit gesellschaftlicher Räume oder der lange anwährende Kampf um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, wie bei der Debatte um die leidigen Paragraphen 218 und 219.
Gleichzeitig scheint nicht jede politische Position, die vorgibt sich für Frauenrechte einzusetzen, automatisch gleichbedeutend mit emanzipatorischen Absichten zu sein. Besonders deutlich wurde dies bei einigen Organisatorinnen des Women’s March, der sich im Kontext der Wahl Donald Trumps zum US-Präsident zusammenfand, Tamika Mallory und Linda Sarsour. Mallory, die an einer Konferenz teilnahm, auf welcher der glühende Antisemit Louis Farrakhan kundtat, dass die „mächtigen Juden“ seine Feinde seien, verweigerte, auf diesen angesprochen, eine Distanzierung, da sie mit einem breiten politischen Spektrum zusammenarbeiten müsse. Sarsour fiel unter anderem wegen ihrer offenen Parteinahme für die antisemitische BDS-Bewegung negativ auf. Mit diesen Verfehlungen stehen die beiden jedoch nicht alleine, blickt man beispielsweise auf den Ausschluss von drei Teilnehmerinnen des queeren Dyke-March in Chicago, die es gewagt hatten, eine Pride-Flagge mit Davidsstern zur Demonstration zu bringen oder die altbekannten Solidaritätsbekundungen Judith Butlers mit den antisemitischen Terrororganisationen Hisbollah und Hamas. Vorgeblich feministische Kämpfe zeigen in diesen Fällen regressives Potential und antiemanzipatorische Tendenzen. Es kommt zu “merkwürdigen Allianzen” (Stögner).
Doch auch von rechter Seite wird ein vermeintlicher Kampf für Frauenrechte inszeniert. Für die rechten AkteurInnen ist dieser Kampf nur Mittel, nie Zweck. Frauenrechte werden instrumentalisiert, um rassistische Inhalte gesellschaftlich vermittelbarer zu machen. Dies zeigt sich unter anderem in der lächerlichen 120 Dezibel Kampagne der „Identitären Bewegung“ oder dem „Frauenmarsch“ der AfD in Berlin. Ein emanzipatorisches Moment gibt es innerhalb dieser Ideologie nicht, Misogynie und Sexismus treten aus strategischen Gründen für eine kurze Episode in den Hintergrund, um die rassistische und antisemitische Weltsicht ein bisschen argumentierbarer zu machen.
Die Antwort auf das autoritäre Rollback der letzten Jahre kann folglich nur eine feministische sein, die sowohl den kapitalistischen Verwertungszusammenhang als auch das Geschlechterverhältnis in den Blick nimmt. Einen Entwurf einer solchen feministischen Gesellschaftstheorie möchten wir in unserer Veranstaltungsreihe darstellen und einen fragmentarischen Überblick über verschiedene Arbeitsfelder der feministischen Auseinandersetzung bieten.
Die Vortragsreihe ist in Kooperation mit FfeM. entstanden.
……………………………………………………………………………………………………………
Nächste Termine im Cafee Koz (immer um 18 Uhr)
11.04.2019 Koschka Linkerhand„Die gelebten Realitäten von Frauen und Mädchen“ – Eine materialistische Kritik des Patriarchats
09.05.2019 Betarice MüllerWert-Abjektion. Zur Abwertung von Care-Arbeit im patriarchalen Kapitalismus
24.05.2019 Andrea TrumannVon der Dekonstruktion der Identität hin zu ihrer Verfestigung. Zur Kritik Judith Butlers und ihrer queerfeministischen Adept*innen
06.06.2019 fantifa FrankfurtEmanzipation und Religion – Queerfeminismus und „Islamischer Feminismus“?
12.06.2019 Sebastian Winter Antigenderismus, Antisemitismus und Muslim*innenfeindlichkeit – Sozialpsychologische Überlegungen zum ideologischen Syndrom der extremen Rechten